Das zweijährige Interregnum nach dem Weggang Erich
Hubalas wurde mit der Berufung Reiner Haussherrs zum
Sommersemester 1976 endlich beendet. (1) Reiner
Haussherr kam aus Bonn, wo er sich 1969 mit einer Arbeit
über »Die Bible Moralisée – Studien zu den
Handschriften des 13. Jahrhunderts« habilitiert hatte
und seit 1970, mit einer halbjährigen Unterbrechung als Visiting
member am Institute for Advanced Study in
Princeton im Herbst 1973, als Professor lehrte.
Geboren wurde Reiner Haussherr 1937 in Berlin. Dort
begann er sein Studium an der Humboldt-Universität,
wechselte aber später nach Göttingen und Bonn, wo er
1962 bei Herbert von Einem promoviert wurde. Die
Dissertation behandelte ein zentrales ikonographisches
Thema: »Der tote Christus am Kreuz. Zur Ikonographie des
Gero-Kreuzes«. Zum Thema des Kruzifixus sollte Haussherr
später wiederholt zurückkehren. 1970 erschien sein
umfangreicher Artikel dazu im Lexikon für Christliche
Ikonographie und im selben Jahr hielt er die
Antrittsvorlesung nach der Habilitation in Bonn über
Michelangelos Kruzifix für Vittoria Colonna. (2) Eine
ikonologische Arbeit ist auch seine 1976 veröffentlichte
Studie über »Rembrandts Jacobssegen« in Kassel (3), wie der
Michelangelo Vortrag eine hommage an seinen Bonner
Lehrer Herbert von Einem.
Nach der Promotion ging Haussherr für ein Semester
nach Paris, bevor er die Stelle eines wissenschaftlichen
Assistenten in Bonn antrat.
Mit der Berufung Haussherrs nach Kiel rückten die
Kunstgeschichte des Mittelalters und die Ikonographie
wieder in den Vordergrund am Kunsthistorischen Institut.
Seine Antrittsvorlesung über den typologischen Zyklus
der Chorfenster der Oberkirche von S. Francesco in Assisi
kann fast als eine Programmerklärung dafür gelten. (4)
Als er 1976 den Ruf annahm, war er mit der
wissenschaftlichen Vorbereitung der großen
Stauferausstellung in Stuttgart beschäftigt. Haussherr
war Herausgeber des großen Kataloges und Autor mehrerer
Beiträge, so wie er einige Jahre davor auch an der
Vorbereitung der Rhein-Maas-Ausstellung in Köln 1972
beteiligt gewesen war. (5) Mit Vorlesungen über die Kunst der
Karolinger, der Ottonen, Salier und der Staufer, mit
Seminaren und mit einer Exkursion zur Stauferausstellung
in Stuttgart im Sommersemester 1977 knüpfte er in der
Lehre gleich an seine Forschungen auf diesen Gebieten an.
Ein anderer Schwerpunkt im Lehrprogramm dieser Jahre
bildete die von Haussherr und Bernhard Schütz durch
getrennte Lehrveranstaltungen vorbereitete und gemeinsam
durchgeführte fast dreiwöchige Exkursion zu den
gotischen Kathedralen Frankreichs im Sommersemester 1978.
Haussherr wandte sich in Lehre und Forschung auch
Problemen der norddeutschen Kunstgeschichte zu. Zu nennen
sind Übungen über die Ausstattung des Schleswiger Domes
und über Meister Bertram und Meister Francke. (6)
Vor dem Hintergrund des starken mittelalterlichen
Schwerpunktes in der Lehre mag die breite thematische
Streuung der unter Haussherr geschriebenen Kieler
Dissertationen überraschen. Nur in den Arbeiten über
das Straßburger Münster und die Holzskulpturen des 13.
Jahrhunderts in Schleswig erkennt man typische
»Haussherrthemen«. Darin kommt aber seine Überzeugung,
daß Doktoranden in der Lage sein sollten, ihre
Dissertationsthemen selbst zu finden, deutlich zum
Ausdruck. Bei der relativ kurzen Tätigkeit Haussherrs in
Kiel und bei den immer länger dauernden
Dissertationsvorbereitungen ist es vielleicht nicht
verwunderlich, daß mehr als die Hälfte der Promotionen
erst nach Haussherrs Wechsel nach Berlin erfolgte. Noch
im Sommersemester 1987 mußte er zum Rigorosum nach Kiel
kommen.
Nach Abschluß der Arbeit am Stauferkatalog widmete
sich Haussherr wieder intensiver der Bible moralisée.
Die Ergebnisse seiner unveröffentlichten
Habilitationsschrift lagen seiner Einleitung zur
Faksimile-Edition des Codex vindobonensis 2554 von 1973
zu Grunde (7);
geplant war jetzt eine Monographie über die
französischen Bible moralisée-Handschriften des
12. Jahrhunderts. Bisher sind eine Reihe von
Einzelstudien zu diesem Thema von seiner Hand erschienen.
Über die Bible moralisée hat Haussherr auch in
dem von ihm selbst zusammen mit den Kieler Kollegen
Hartmut Boockmann, Hans Hattenhauer und Karl August Ott
gegründeten Kieler Mediävistenkreis, einer
interdisziplinären, kollegialen Vereinigung, die bis
heute dem wissenschaftlichen Leben der Fakultät einen
wichtigen Akzent gibt, vorgetragen.
Haussherr war auch in verschiedenen
außeruniversitären Forschungsgremien tätig, wie dem
Deutschen Nationalkomitee des Corpus Vitrearum, der
Vereinigung zur Herausgabe des Dehio-Handbuches und dem
Advisory Commitee of the International Center of
Medieval, The Cloisters, New York. 1980 wurde er zum
Fachgutachter der Deutschen Forschungsgemeinschaft
gewählt.
Unter Haussherr erfolgte 1978 die Habilitation von
Bernhard Schütz. (8)
Er wurde 1981 zum Professor ernannt. Durch
Lehrstuhlvertretungen in Frankfurt a. M. 1979/80 und in
München 1981 wurde seine Tätigkeit in Kiel danach
unregelmäßiger. 1982 folgte Schütz einem Ruf nach
München.
Aus Bonn hat Haussherr Eberhard König als seinen
Assistenten geholt. Seit Sommersemester 1977 hielt er
neben seinen Proseminaren und Übungen auch regelmäßig
Lehrveranstaltungen für die Realschullehrerkandidaten an
der Pädagogischen Hochschule. König folgte nach dem
Sommersemester 1981 Haussherr nach Berlin.
1979 erhielt das Kunsthistorische Institut einen neuen
Lehrstuhl. Der Grund dafür war der Aufbau eines
Studienganges für Kunsterziehung für das höhere
Lehramt, der von der Christian- Albrechts-Universität
und dem Fachbereich Gestaltung der Fachhochschule Kiel
(Muthesiusschule) gemeinsam durchgeführt werden sollte,
wobei das Kunsthistorische Institut die Verantwortung
für die Ausbildung in Kunstgeschichte übernahm. Seit
1980 studieren Studenten und Studentinnen dieses
Studienganges an unserem Institut.
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